Warum erhielt die AfD bei der Landtagswahl Sachsen-Anhalt relativ viele Stimmen bei den jüngeren männlichen Wählergruppen? Gilt dies auch für die anstehende Bundestagswahl? Und überhaupt: Worin stimmen Frauen, Männer, Jung und Alt heute noch überein?

Die AfD hat bei der Landtagswahl Sachsen-Anhalt am 6. Juni mit 20 Prozent die meisten Stimmen der unter 25-jährigen Männer erhalten. Bei Männern zwischen 25 und 34 Jahren kam die Rechtsaußenpartei gar auf 31 Prozent der Stimmen – ihr Vorsprung auf die CDU betrug zehn Prozentpunkte. Die CDU selbst konnte wiederum bei den über 60-Jährigen und bei Frauen besonders gut abschneiden. Doch wie erklären sich diese alters- und geschlechterspezifischen Unterschiede? Und lassen sich die Erkenntnisse auch auf die Bundestagswahl übertragen, bei der die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler zum ersten Mal älter als 55 Jahre sein wird?

Handlungsfähigkeit spricht junge Wählergruppen an

Als kurz vor der Europawahl im Mai 2019 das Video “Die Zerstörung der CDU” von YouTuber Rezo viral ging, war vielen klar: Die CDU ist out bei der jungen Generation. Mittlerweile haben CDU und CSU beim Kommunikationsstil aber auch bei den Themen „Klimaschutz“, „Digitalisierung“ und „Gleichberechtigung“ nachgebessert. Dennoch: Bei den letzten Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt erreichte die CDU bei den unter 25-Jährigen jeweils das schlechteste Ergebnis im Vergleich zu ihrem Gesamtergebnis.

Nach Klaus Hurrelmann, Bildungsforscher und Professor für Public Health and Education an der Hertie School of Governance in Berlin, sind junge Wählerinnen und Wähler überwiegend Themenwähler. Das bedeutet, sie sind thematisch interessiert und beurteilen die Angebote der Parteien anhand ihrer individuellen Bedürfnisse. Diese These unterstützt das Wahlverhalten in Sachsen-Anhalt: So gaben 71 Prozent der Wählerinnen und Wähler der AfD an, diese aufgrund ihres Programms zu wählen. Bei der CDU waren es hingegen nur 35 Prozent. Damit liegt nahe, dass die AfD vor allem über ihre Themen „Infrastruktur“ und „Migration“ vergleichsweise viele Stimmen bei den unter 35-Jährigen sammeln konnte. Trotzdem: Bei den unter 25-Jährigen erfuhr sie starke Rückgänge gegenüber der Wahl im Jahr 2016. Das zeigt auch: In dieser Gruppe werden andere Themen wichtiger.

In den vergangenen Jahren wurde vielfach über die „Generation Z“ oder „Generation Greta“ geschrieben. Gemeint sind die seit Ende der 1990er Jahre Geborenen. Sie wollen den Aufschub wichtiger Entscheidungen beim Klimaschutz oder der Digitalisierung nicht länger hinnehmen, sind eher kollaborativ und proaktiv veranlagt und beginnen gegen ältere Gruppen zu rebellieren. Dazu kommt: Sie sind misstrauisch gegenüber der Politik. Für die Parteien wird es daher auch darum gehen, sich in den relevanten Medienkanälen als handlungsfähig zu präsentieren.

Corona kann Generationenkonflikt verstärken

Bei älteren Wählergruppen wird es wiederum darauf ankommen, die Spitzenkandidatinnen und -kandidaten der Parteien in den traditionellen Medien vorzustellen. Personen, die seit Jahrzehnten CDU oder SPD wählen, besitzen häufig eine gefestigte Parteienzugehörigkeit und identifizieren sich stark mit den vertretenen Werten. Bei Entscheidungen in Gesundheits-, Sozial- oder Klimapolitik profitieren sie derzeit außerdem stärker als die junge Generation. Eine Ungerechtigkeit, die beim Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausschlaggebend war, das Klimagesetz der Bundesregierung zu kippen.

Dass damit eine konservativere Einstellung bei Themen wie Klimaschutz oder der Digitalisierung einhergehe, widerlegt jedoch eine EIB-Klimaumfrage: Ältere sorgen sich sogar häufiger um die Umwelt als Jüngere. Verbot von Inlandsflügen, Tempolimit, Recycling – diese strikteren Maßnahmen finden mehr Zuspruch bei älteren Menschen. So stimmen bei den über 65-Jährigen 72 Prozent der Aussage zu, dass die Wirtschaft verändert werden muss, um dem Klimaschutz ausreichend Rechnung zu tragen. Bei den unter 30-Jährigen erhält diese Aussage nur bei 59 Prozent Zustimmung. Laut der Bundesagentur für Arbeit haben sich die Chancen auf dem Arbeitsmarkt besonders für junge Menschen im letzten Corona-Jahr verschlechtert, was möglicherweise die geringere Zustimmung erklärt. Der massive Ausfall von Unterricht hat zudem Bildungslücken bei Kindern und Jugendlichen geschaffen, bei denen zweifelhaft bleibt, ob sie durch das „Aktionsprogramm Aufholen nach Corona“ des Bildungsministeriums aufgeholt werden können.

Die Konsequenz könnte das Heranwachsen einer Generation bedeuten, die finanzielle Absicherung, materiellen Wohlstand und eine starke Wirtschaft wieder stärker in den Fokus rückt. Ein Auseinanderdriften von Jung und Alt und ein fehlendes Verständnis für die gegenseitige Lage während der Coronakrise wurde durch die Impfpriorisierung und eine generelle Bevorzugung der älteren Generation von der Politik verstärkt. Während junge Menschen sich durch die Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie oft vergessen und hintenangestellt fühlten, klagte die ältere Generation über die Uneinsichtigkeit und fehlende Disziplin der Jugend. Tatsächlich haben Verhaltensauffälligkeiten und psychische Erkrankungen vor allem bei Kindern und Jugendlichen durch die Pandemie drastisch zugenommen.

 

Ältere Wählerinnen wünschen sich Sicherheit

Während die mediale Auseinandersetzung zwischen Jung und Alt noch weitgehend zivilisiert verläuft – wohl auch aufgrund des unterschiedlichen Mediennutzungsverhaltens – erlebt der Frauenhass im Netz derzeit eine bittere Renaissance. Dass hierbei meistens eine inhaltslose Verschiebung alter, patriarchaler Mechanismen ins Netz stattfindet, verdeckt die derzeit interessanten Unterschiede im Wahlverhalten zwischen Frauen und Männern. So wählten bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 41 Prozent der Frauen die CDU. Die AfD erreichte lediglich 15 Prozent Zustimmung. Dabei vergrößerte sich der Abstand mit steigendem Alter. So erhielt die CDU unter den über 60-jährigen Frauen sogar über 50 Prozent der Stimmen – ein Zuwachs gegenüber 2016 um ganze 12 Prozentpunkte. Keine der anderen Parteien konnte in dieser Gruppe Pluspunkte zulegen – aber warum?

In einer deutschlandweiten YouGov-Umfrage vom März 2020 gaben 23 Prozent der befragten Frauen an, sich aufgrund der Auswirkungen von Corona auf die Wirtschaft sehr große Sorgen über ihre persönliche Zukunft zu machen. Bei den Männern waren es lediglich 16 Prozent. Eher große Sorgen machten sich sogar 29 Prozent der befragten Frauen – immer noch zwei Prozentpunkte mehr als bei den befragten Männern. Damit scheint es wahrscheinlich, dass die CDU Sachsen-Anhalt und ihr Spitzenkandidat Reiner Haseloff es geschafft haben, bei den meisten Wählerinnen als Sicherheitsgarant wahrgenommen zu werden. Entsprechend unserer Einschätzung zu jungen Wählerinnen erhielt die CDU bei den unter 25-jährigen Frauen wiederum relativ wenige Stimmen im Vergleich zu ihrem Gesamtergebnis.

Sollten die Zukunftssorgen vor der Bundestagswahl weiterhin präsent sein, wird es für die Parteien in der Ansprache von Wählerinnen vor allem darum gehen, als Sicherheitsgarant wahrgenommen zu werden. Damit rücken auch die Spitzenkandidatinnen und Kandidaten der Parteien in den Vordergrund. Die besten Chancen haben hier voraussichtlich die CDU/CSU und SPD. Damit wird es auch darum gehen, den Spagat zwischen Sicherheit/Kontinuität und Risiko/Handlungsfähigkeit zu meistern.

Werden Unterschiede zu Konflikten?

Volksparteien erheben den Anspruch, Wählerinnen und Wähler in allen Bevölkerungsgruppen anzusprechen und zu repräsentieren. Doch wie können die Interessen von Frauen, Männern, Jung und Alt noch ausbalanciert werden? Im Zeitalter der Medienpluralität und Digitalisierung der Medien ist es möglich, Wählergruppen personalisiert anzusprechen. Das Problem: Spätestens im Koalitionsvertrag müssen die Interessen wieder zusammenfinden. Gleichsam läuft eine alters- und geschlechterspezifische Ansprache Gefahr, Unterschiede zu manifestieren und neue Narrative einzuführen, die sich in einer dynamischen Medienwelt schnell zu neuen Konflikten entwickeln können.