Die Europäische Union möchte bis 2050 klimaneutral werden. Deutschland soll dieses Ziel mit der Novellierung des Klimaschutzgesetzes bereits 2045 erreichen. Der Weg dahin ist eine der größten und komplexesten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Die Umsetzung der Klimamaßnahmen hat weitreichende Konsequenzen auf Unternehmen. Damit die gesamte deutsche Wertschöpfung klimaneutral betrieben werden kann, müssen auch die Stimmen der Wirtschaft als wesentliche Gestalter und Experten ihrer jeweiligen Wirtschaftszweige gehört werden. Doch können Unternehmen ihre Public-Affairs-Arbeit wie bisher fortsetzen? Oder muss die wirtschaftliche Interessenvertretung grundlegend neu gedacht werden?

Komplexer und schneller dank Klimawandel – die Gesetzgebung seit 2019
Damit die Transformation hin zu einer klimaneutralen Gesellschaft möglichst schnell erfolgt, entstanden seit der Verabschiedung des nationalen Klimaschutzgesetzes und des „Green New Deal” der EU-Kommission im Jahr 2019 eine Vielzahl von Gesetzen zur Einleitung und Steuerung dieses Prozesses. Diese Gesetze regulieren oftmals nicht nur einzelne Branchen und Unternehmen mit vergleichbaren Geschäftsaktivitäten. Ihre Umsetzung soll ganze Sektoren und Wertschöpfungsketten dekarbonisieren. So müssen beispielsweise seit Anfang dieses Jahres alle Unternehmen aus dem Wärme- und Verkehrssektor – von Gasversorgern bis zu Produzenten von fossilen Kraftstoffen – durch das Brennstoffemissionshandelsgesetz einen Preis für CO2-Emissionen zahlen. Zur Bekämpfung des Klimawandels wird die Gesetzgebung also immer branchenübergreifender.

Zudem finden die rechtlichen Anpassungen an die Klimaziele auch auf europäischer Ebene in höherem Tempo statt, als dies noch vor dem „Green New Deal“ der Fall war: Europäische Vorgaben sind noch nicht in deutsches Recht umgesetzt, während Brüssel schon die Überarbeitung der Vorgabe diskutiert. So ist zum Beispiel die europäische Verordnung zum Einsatz von erneuerbaren Energien in Deutschland noch nicht in Kraft getreten. Das EU-Parlament diskutiert aber bereits ihre Nachfolgerin, wie Philipp Sommer und Florian Schmitz in ihrem Beitrag „Verkehrswende: Fahren auf Sicht beim Klimaschutz“ beschreiben.

Auch in Deutschland werden legislative Änderungen in Reaktion auf den Klimawandel teilweise sehr schnell vorangebracht. Dabei müssen die zuständigen Ministerien und Parlamentsvertreter zahlreiche Branchen und divergierende Interessen beachten und zwischen Ihnen abwägen. So wurde nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur teilweisen Verfassungswidrigkeit des Klimaschutzgesetzes ein neuer Gesetzesentwurf nur sechs Tage später veröffentlicht, obwohl die Karlsruher Richter die Frist zur Überarbeitung des Gesetzes bis Ende 2022 gestattet hatten. Die in dem Gesetz sektorspezifisch festgelegten Klimaschutzziele legen die zulässigen CO2-Emissionen für das nächste Jahrzehnt fest und haben somit enorme Auswirkungen auf die einzelnen Wirtschaftszweige. Entsprechend große Dispute gab es zwischen den Vertretern der einzelnen Sektoren, wie die zusätzlichen CO2-Emissionen aufgeteilt werden sollen.

Die neuen Anforderungen an Public Affairs
Die durch Klimaschutzvorhaben immer komplexere und schnellere Gesetzgebung hat für die Public-Affairs-Arbeit von Unternehmen maßgebliche Folgen:

Erstens wird es wesentlich schwieriger, jede für das eigene Unternehmen relevante Regulierung zu beobachten und sich entsprechend strategisch zu positionieren. Ressourcen müssen auf eine größere Anzahl relevanter Gesetzesvorhaben aufgeteilt werden, als dies vor der Verabschiedung des Klimaschutzgesetzes und des „Green New Deal“ im Jahr 2019 der Fall war.

Zweitens befassen sich aufgrund der branchenübergreifenden Gesetzgebung seitdem mehr Akteure mit einem legislativen Vorgang und konkurrieren um die Aufmerksamkeit und Zeit von Entscheidern.

Drittens steigt aufgrund der teils signifikanten Auswirkungen der Gesetze und Verordnungen auf die wirtschaftlichen Geschäftsmodelle der Druck auf Public-Affairs-Verantwortliche in Unternehmen, die legislativen Prozesse korrekt in ihrer Wirkung auf das Unternehmen einzuschätzen und sie entsprechend für die eigene Public-Affairs-Arbeit zu priorisieren. Gleichzeitig bieten sich dadurch auch Chancen zur Gestaltung wichtiger Themen.

Antwort auf neue Anforderungen?
Was allein nicht erreicht werden kann, wird im Verbund mit anderen wieder möglich. Die Bündelung von mehreren Kräften – das ist die Grundidee von strategischen Allianzen. Eine strategische Allianz vereint verschiedene Akteure mit denselben oder zumindest ähnlichen Zielen bei der Interessensdurchsetzung. Sie kann sowohl einen temporären Charakter haben als auch auf Langfristigkeit angelegt sein. Die Zusammenarbeit zielt auf die Hebung von fachlichen und materiellen Synergieeffekten ab: Zum einen arbeitet eine Allianz sehr ressourceneffizient, zum anderen führt eine größere Mitgliederzahl zu einer höheren Durchschlagskraft. Strategische Allianzen zeichnen sich ebenso durch einen hohen Netzwerkcharakter und die fachliche Arbeit aus, in der neue Lösungen und Vorschlägen für inhaltliche Problemstellungen erarbeitet werden.

Doch Achtung: Allianzen sind kein Allheilmittel. Langwierige Aushandlungsprozesse, die ausbleibende Positionierung zu einem spezifischen Aspekt oder – im schlimmsten Fall – auch Austritte von Mitgliedern können eine Folge sein. Auch brauchen Allianzen eine gewisse Anlaufphase, um Vertrauen zwischen Mitgliedern aufzubauen und sich gegenüber politischen Stakeholdern als wertvoller Gesprächspartner zu etablieren.

Die stetig wachsenden Anforderungen an Public-Affairs zwingen die Akteure auf Unternehmensseite zu immer neuen Formaten und Zusammenschlüssen, um die eigenen Positionen und Themen nachdrücklich bei ihren Stakeholdern zu etablieren. Der Druck durch das Anwachsen der Gesetze und Regulierungen wird sich auch nach der Bundestagswahl weiter deutlich erhöhen.