Um 5:40 Uhr am 24. Februar 2022 hat der russische Präsident Vladimir Putin der Ukraine den Krieg erklärt, das Völkerrecht eklatant gebrochen und den Versuch gestartet, die Nachkriegsordnung zurückzudrehen. Europa und der Westen sind sich einig in ihrem Entsetzen und ihrer Entrüstung über dieses Vorgehen. Die europäischen Öffentlichkeiten solidarisieren sich mit der Ukraine und selbst zahlreiche PolitikerInnen, die als „Putin-Versteher“ galten, räumen ein, dass sie sich völlig verschätzt und Putin für zu harmlos gehalten haben. Doch schon in der Frage, welche Sanktionen nun angemessen sind, ist der Westen nicht komplett einig. Wenn sich dies verfestigen sollte, wäre es ein fatales Zeichen der Schwäche der demokratischen Welt. Insofern wird der Druck auf stärkere und einheitliche Reaktionen in den kommenden Tagen steigen. Ein zentrales Thema wird dabei der komplette Ausschluss Russlands vom SWIFT-System und damit mittelbar auch das weitgehende Ende der Energiebeziehungen zwischen Europa und Russland sein. 

Nun könnte man meinen, dieser Konflikt läuft ab, wie viele andere Konflikte zuvor – ob in Georgien oder in Hongkong. Die demokratischen Staaten, ihre Öffentlichkeiten und Medien echauffieren sich einige Wochen, es werden einige, nicht sehr weitreichenden Sanktionen beschlossen, aber schon nach wenigen Wochen verschwindet der Konflikt aus den Medien und gerät in Vergessenheit. Diesmal spricht allerdings Vieles dafür, dass wir hier eine Zeitenwende in den demokratischen Staaten, insbesondere aber in Deutschland, sehen werden: 

  1. Die systematische Desinformation und die gezielte Destabilisierung der Demokratien durch russische Aktivitäten im Internet, insbesondere den „sozialen“ Medien, werden nicht länger unbeantwortet bleiben können. Die Diskussion im Europaparlament, aber auch in den Mitgliedsstaaten, diese gezielten Attacken zu unterbinden, werden Konsequenzen zeigen. Mehr noch: Die NATO und die EU werden sich die Frage stellen müssen, ob nicht auch in Russland eine Gegenöffentlichkeit via Online-Medien hergestellt werden kann.
  2. Die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit Europas wird zusätzliche Militärausgaben und die Investition in gemeinsame europäische Strukturen zur Folge haben. Das bindet Geld in den öffentlichen Haushalten. Die Maastricht-Kriterien werden auch 2023 kaum eingehalten werden können. 
  3. Der vom BMWK erarbeitete Vorsorgeplan beschreibt schnelle Maßnahmen gegen die Abhängigkeit der deutschen Energieversorgung von Russland. Der Aufbau zusätzlicher strategischer Reserven bei Kohle, Öl und Gas und der Ausbau von Infrastrukturen für Gas und LNG aus neuen Herkunftsmärkten wird in den Jahren 2022 und 2023 erhebliche Investitionen in die fossile Energieversorgung bedeuten. Hinzu kommt, der Staat wird auch den explodierenden Energiepreisen entgegentreten müssen, um sozialen Unfrieden zu verhindern. Das alles wird viel Geld und Steuergeld kosten.  
  4. Deutschland wird kurzfristig auf ein breites Bündel an Energieträgern, darunter auch alle fossilen Optionen setzen. Da Bundesregierung und EU-Kommission aber die Erreichung der Klimaziele nicht relativieren wollen, werden sie mittel- und langfristig auch alle nachhaltigen Energieträger unterstützen müssen und deren Ausbau eher beschleunigen. Die Debatte um angeblichen Wasserstoff-Champagner dürfte in diesen Tagen endgültig beendet werden. 
  5. Die Erkenntnis greift bei aller Orten um sich: Nur der massive Ausbau Erneuerbarer Energien kann die Abhängigkeiten Deutschlands an dieser Stelle senken. Darum planen Bundeskanzleramt und BMWK offenbar, den Fahrplan für den Ausbau Erneuerbarer Energien nochmals umfangreich zu erweitern. Das wird viel Kapital erfordern. Angesichts der zuvor schon beschriebenen finanziellen Herausforderungen wird es erforderlich sein, dafür in erster Linie privates Kapital zu mobilisieren. Das erfordert attraktive und vor allem verlässliche Rahmenbedingungen. 
  6. Offshore, Biomasse und vor allem Photovoltaik spielen dabei eine wichtige Rolle. Der Ausbau muss noch schneller als geplant geschehen, denn nur dann wird Deutschland in den kommenden Jahren bereits unabhängiger in der Energieversorgung werden. Die in Deutschland übliche NIMBY-Haltung wird sich niemand mehr leisten können, ist sie doch ein wesentlicher Grund für den langsamen Ausbau von Erneuerbaren Energien und von Energienetzen.  

Not in my backyard wird sich nicht mehr rechtfertigen lassen, denn längst gilt: There is war! IN our backyard.