„Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes […]“, heißt es in Artikel 38 Absatz 1 des Grundgesetzes. Wie gut repräsentiert der Bundestag jedoch die Bevölkerung demographisch? Die Bundestagswahl haben wir zum Anlass genommen, den neuen Bundestag unter drei wesentlichen strukturellen Gesichtspunkten unter die Lupe zu nehmen und mit der Struktur der Gesellschaft insgesamt abzugleichen: Geschlecht, Alter und Herkunft aus Ost- oder Westdeutschland.

Diese Betrachtung ist auch im Hinblick auf die aktuellen Sondierungsgespräche relevant. Zwar geht der Trend klar Richtung Ampel, doch sowohl Grüne als auch FDP lassen die Aufnahme von Jamaika-Gesprächen für den Fall des Scheiterns der Ampel-Sondierungen offen. Gleichzeitig ist aktuell eher unklar, wie die Union sich für dieses Szenario rechtzeitig verhandlungsfähig machen möchte.

Alter: Jünger als der Bundesdurchschnitt aller Wahlberechtigten

Im Jahr 2020 betrug das Durchschnittsalter der deutschen Wahlbevölkerung 51,2 Jahre. Mit 48 Jahren ist der aktuelle Bundestag somit rund drei Jahre jünger. Der Durchschnitt allein ist allerdings nur begrenzt aussagekräftig. Ein Blick auf alle im Bundestag vertretenen Altersgruppen lohnt sich.

Hier zeigt sich ein starkes Missverhältnis. Zwar sind die 18- bis 25-jährigen unterrepräsentiert, doch das demographische Missverhältnis im Alter ist wesentlich größer. Bereits die 62- bis 65-Jährigen sind deutlich unterrepräsentiert und die Alterskohorten über 70 Jahre finden im Bundestag faktisch genauso wenig statt wie die unter 22 Jahre. Im Ergebnis dominiert die Altersgruppe der Mitte 30- bis Mitte 50-Jährigen den Bundestag.

Geschlecht: Fast doppelt so viele Männer wie Frauen

Den bisher größten Anteil an weiblichen Bundestagsabgeordneten hatte mit 37,3 % der 18. Deutsche Bundestag in der Legislaturperiode 2013 – 2017. Nachdem er zu Beginn der letzten Periode dann auf 31,4 % abgesackt war, geht die Entwicklung nun zumindest wieder in die richtige Richtung. Etwas mehr als 250 Frauen füllen demnächst die Ränge des Plenarsaals. Bei 735 Sitzen insgesamt weist der neue Bundestag einen Frauenanteil von 34,5 % auf. Auch wenn die Tendenz im Vergleich zu 2017 stimmt – in der deutschen Bevölkerung machen Frauen fast 51 % aus. Sie sind also nach wie vor stark unterrepräsentiert.

Ost und West sind gut repräsentiert

Vor wenigen Tagen, am 3. Oktober, hat sich die Deutsche Einheit zum 31. Mal gejährt. Von den 735 Abgeordneten im Deutschen Bundestag haben 115 eine ostdeutsche Biografie, sind also in einem der ehemals zur DDR gehörenden Bundesländer geboren und wurden zumindest teilweise dort sozialisiert. Nicht gemeint sind damit westdeutsche Abgeordnete, die in einem der ostdeutschen Wahlkreise kandidierten, so etwa Olaf Scholz und Annalena Baerbock im Wahlkreis Potsdam.

Die Bevölkerung der Bundesrepublik in den neuen Bundesländern, einschließlich den Wahlkreisen im ehemaligen Ost-Berlin, macht einen Anteil von ziemlich genau 15 % an der Gesamtbevölkerung aus. Dieser Anteil ist nahezu identisch mit dem der ostdeutschen Abgeordneten am Plenum des Bundestags (15,6 %). Allerdings wäre er wohl geringer, wenn nicht in den Fraktionen von AfD (27,7 %) und Die Linke (41 %) eine Überrepräsentation verglichen mit der Bevölkerung herrschen würde.

Wie repräsentativ sind die Ampel-Teams?

Das bereits jetzt legendäre Selfie der jeweils beiden VerhandlungsführerInnen von Grünen und FDP trug die Unterschrift: „Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten.“ Wie schlägt sich diese Devise personell in den nun verhandelnden Teams nieder? Grüne und Liberale verbindet, dass sie in den vergangenen 16 Jahren überwiegend (FDP), respektive gänzlich (Grüne), in der Opposition waren und nicht mit dem Kurs der Großen Koalition in Verbindung gebracht werden.

Betrachtet man die Sondierungsteams im Vergleich zu den Bundestagfraktionen der drei nun verhandelnden Parteien, so fallen die Machtverhältnisse der sogenannten Parteiflügel nicht sonderlich ins Auge. Die Freien Demokraten haben mit ihrem Schatzmeister und ehemaligen Sozialdemokraten Harald Christ sowie Johannes Vogel zwei Sozialliberale am Tisch. Darüber hinaus Generalsekretär Volker Wissing, der in Rheinland-Pfalz bereits zweimal erfolgreich eine Ampel-Koalition mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und den Grünen ausgehandelt hat.

Bei den Grünen sind rotgrün orientierte Verhandlerinnen und Verhandler in der Überzahl. Neben Anton Hofreiter und Ricarda Lang sind hier Michael Kellner, Sven Giegold, Claudia Roth und auch Annalena Baerbock zu nennen. Jamaika-Ambitionen werden nur Robert Habeck, Winfried Kretschmann und Katrin Göring-Eckardt nachgesagt. Umso wichtiger, dass die Delegation von der Partei-Doppelspitze aus Baerbock und Habeck geführt wird. Die grüne Bedingung ist, unabhängig von Parteiflügeln ein 1,5-Grad-konformer Koalitionsvertrag im Zeichen effektiven Klimaschutzes.

Alle drei Sondierungsteams sind älter als ihre jeweiligen Fraktionen (siehe Grafik). Die SPD schickt die durchschnittlich älteste Runde ins Rennen. FDP und Grüne haben mit Wolfgang Kubicki (69) und Winfried Kretschmann (73) je eine Person, die auf besonders viele Jahre politische Erfahrung zurückblicken kann.

Entscheidend wird aber die Erfahrung bestimmter AkteurInnen sein: In der FDP sind dies Christian Lindner (42), Volker Wissing, Michael Theurer und Marco Buschmann (44), beim Bündnis 90/Die Grünen Robert Habeck (52), Winfried Kretschmann, Annalena Baerbock (40) sowie auch Britta Hasselmann (59). Die SPD wird angeführt von den erfahrenen PolitikerInnen Olaf Scholz (63), Malu Dreyer (60) und Generalsekretär Lars Klingbeil (42). Alle von ihnen haben genug parlamentarische Praxis, um zu wissen, dass sich ohne Kompromisse wenig nach vorn bewegt. Alle wissen, dass es nun an ihnen liegt, den Kurs gemeinsam umzusetzen – oder um es mit Robert Habecks Worten zu sagen: „Scheitern ist eigentlich keine Option“ (FAZ, 11.10.2021).