Am vergangenen Mittwoch drehte sich in Brüssel alles um den Klimaschutz. Mit „Fit for 55“ präsentierte die EU-Kommission ein umfassendes Gesetzespaket, mit dem die EU ihre verschärften Klimaziele erreichen will. Darunter eine Verordnung mit dem kryptischen Namen CBAM.

Die Funktionsweise des „Carbon Border Adjustment Mechanism“ (CBAM) ist so simpel wie geopolitisch brisant: Um europäische Unternehmen im internationalen Wettbewerb nicht aufgrund der Kosten für den Klimaschutz zu benachteiligen, sollen Importe mit einer CO2-Abgabe belastet werden.

Wettbewerbsfähigkeit sichern

Neu ist die Idee nicht: Bereits kurz nach ihrem Amtsantritt als EU-Kommissionspräsidentin verkündete Ursula von der Leyen im Dezember 2019 die Idee einer CO2-Bepreisung von Importen. Weniger als zwei Jahre später liegt diese Idee nun als CBAM auf dem Tisch. Dahinter steht der Gedanke, die europäische Wirtschaft trotz ehrgeiziger Klimaziele wettbewerbsfähig zu halten und gleichzeitig Drittstaaten zu mehr Klimaschutz zu verleiten. Denn je geringer der CO2-Fußabdruck der importieren Waren ist, desto günstiger und konkurrenzfähiger sind diese auf dem europäischen Markt.

Damit die EU bis 2050 klimaneutral werden kann, ist die Bepreisung von CO2 im Rahmen des europäischen Emissionshandels (EU-ETS) ein wesentliches Element. Rund 11.000 Anlagen der Energiewirtschaft, des innereuropäischen Flugverkehrs und der energieintensiven Industrie (zusammen für ca. 40 Prozent der europäischen Emissionen verantwortlich) müssen für jede ausgestoßene Tonne CO2 ein Zertifikat vorlegen. Diese Zertifikate werden den Unternehmen in geringen Mengen frei zugewiesen. Die restlichen Zertifikate, die zur Kompensation des CO2-Ausstoßes benötigt werden, müssen am Markt erworben werden.

Diese Kosten entstehen allerdings nur für Unternehmen innerhalb der EU sowie in Island, Liechtenstein und Norwegen. Wer in Drittstaaten produziert und keine gleichwertigen Kosten für den Klimaschutz entrichten muss, hat klare Wettbewerbsvorteile gegenüber europäischen Unternehmen. Um die Verlagerung der Emissionen von Unternehmen und damit deren Arbeitsplätzen und Wertschöpfung, ins Ausland (Carbon Leakage) zu vermeiden, soll der CBAM nun Abhilfe schaffen.

Wie funktioniert der CBAM?

Damit das gelingt, sollen Unternehmen aus Drittstaaten in Zukunft digitale CO2-Zertifikate bei einer noch einzurichtenden Behörde erwerben. Die Kosten für diese digitalen Zertifikate errechnen sich aus dem durchschnittlichen Preis für ein ETS-CO2-Zertifikat innerhalb der letzten sieben Tage. Zunächst sollen nur Grundstoffe mit hohem CO2-Gehalt unter die Regulierung des CBAM fallen: Aluminium, Stahl, Zement, Düngemittel und direkt in das europäische Netz eingespeister Strom. Güter, die aus mehreren Elementen zusammengesetzt sind, werden zunächst nicht vom CBAM erfasst. Somit wird der Import eines Stahlträgers mit einer Abgabe versehen – ein Autoteil mit Stahl jedoch nicht.

Wie viele CBAM-Zertifikate Unternehmen zur CO2-Kompensation erwerben müssen, kann über zwei Wege ermittelt werden: Zum einen geben EU-weite Benchmarks für den CO2-Gehalt der Grundstoffe eine Orientierung, zum anderen gibt es eine sehr kleinteilige mathematische Formel, über die der individuelle CO2-Gehalt des Produktes ermittelt wird. Bei der Einfuhr müssen die Unternehmen ihre Waren pro Tonne beziehungsweise den importierten Strom pro Megawattstunde bei der zuständigen Behörde anmelden. Spätestens bei der Kontrolle durch den Zoll müssen alle CO2-Zertifikate vorliegen. Ist dies nicht der Fall, beträgt die Strafzahlung für jedes fehlende Zertifikat das Dreifache des letztjährigen durchschnittlichen Preises für CBAM-Zertifikate.

Der CBAM soll zunächst in einer Pilotphase von 2023 bis 2026 eingeführt werden, um „das Risiko störender Auswirkungen auf die Handelsströme zu verringern“, wie es im Verordnungstext steht. Unter die Regelung fallen alle Staaten, die nicht am EU-ETS teilnehmen. Allerdings sind Sonderregeln für Staaten vorgesehen, in denen bereits ein CO2-Preissystem existiert. In diesen Fällen möchte die EU gegenseitige Abkommen abschließen, um die Preissysteme aneinander anzugleichen.

CBAM könnte Carbon Leakage befeuern

Kann der CBAM Carbon Leakage verhindern und Anreize für mehr Klimaschutz in Drittstaaten setzen? Oder ist es doch eher ein Instrument der Sorte „gut gemeint, schlecht umgesetzt“? Bislang spricht einiges für die zuletzt genannte Variante, denn die Umsetzung besitzt einige Schwachstellen. Trotz des hohen bürokratischen Aufwands für Unternehmen ist das System betrugsanfällig. Eine Schwachstelle ist die sehr kleinteilige Formel zur Berechnung der CO2-Emissionen, deren Parameter auch indirekt ausgestoßene Emissionen, wie den zur Herstellung des Produktes verwendeten Strom, einbezieht. Solche Faktoren sind nur sehr schwer zu überprüfen.

Auch bei der Vereinbarkeit des CBAM mit den Regeln der WTO ergeben sich einige große Fragezeichen. Bislang wird ein Teil der CO2-Zertifikate des ETS kostenlos an energieintensive Unternehmen verteilt. Mit der Einführung des CBAMs soll das zwar auch innerhalb von zehn Jahren eingestellt werden, allerdings würden europäische Unternehmen gegenüber importierenden Konkurrenten bis dahin bevorzugt werden. Ebenfalls ist der nicht verbindliche Vorschlag des EU-Parlamentes, die Einnahmen des CBAM in geschätzter Höhe von neun Milliarden Euro in den EU-Haushalt fließen zu lassen, schwerlich mit dem Regelwerk der WTO vereinbar.

Neben diesen behebbaren konzeptionellen Problemen liegt allerdings bereits in der grundlegenden Idee des CBAM eine fundamentale Herausforderung. Die Einführung einer CO2-Abgabe erhöht für importierende Unternehmen die Kosten beim Absatz auf dem europäischen Markt. Das steigert den Anreiz, Produkte auf anderen Märkten zu veräußern. Werden die Waren dann dort verkauft, verringern sich die Handelsströme in die EU. Anstatt die Reduktion von CO2 zu fördern und Wertschöpfung in Europa zu erhalten, könnte der CBAM das genaue Gegenteil bewirken: Verstärkung statt Verhinderung von Carbon-Leakage. Der Stahl wird auf anderen Märkten weiterverarbeitet und als verarbeitetes Produkt nach Deutschland geliefert. Deswegen erbat die Bundesregierung in einem vertraulichen Brief an die Kommission, dass die Auswirkungen des CBAMs auf die Handelsströme der Mitgliedsstaaten sorgfältig identifiziert und gegen andere Modelle einer CO2-Importbepreisung wie zum Beispiel einer CO2-Steuer abgewogen werden soll.

In Anbetracht dieses grundlegenden Problems plädieren einige bekannte Persönlichkeiten und Akteure wie das Institut für Weltwirtschaft in Kiel, der Thinktank Bruegel in Brüssel sowie Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz für einen sogenannten Klimaclub. Dessen Mitglieder würden sich freiwillig verpflichten, gemeinsame klimapolitische Mindeststandards einzuführen, etwa über einen CO2-Handel. Ein solcher Klimaclub hätte gegenüber des CBAM einen signifikanten Vorteil: Er würde nicht als protektionistisches Unterfangen der EU wahrgenommen werden.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat die Sichtweise von acht asiatischen Ländern, darunter China und Indien, auf den CBAM analysiert. Das Fazit: Der CBAM wird überwiegend als einseitiges Handelshemmnis zur Bevorzugung der europäischen Wirtschaft bewertet. Auch Staaten außerhalb Asiens schauen sehr kritisch auf den CO2-Grenzausgleich. Der australische Handelsminister Dan Tehan sprach von einem Instrument „sehr protektionistischer Art“. Russlands Vize-Ministerpräsident Alexander Novak deutete mehrfach eine Klage bei der WTO gegen den CBAM an und der US-Sonderbeauftragter für Klimaschutz John Kerry warnte die EU, dass der CBAM nur als „letztes Mittel“ eingesetzt werden sollte. Die harschen Reaktionen sind partiell auch auf die schlechte Kommunikation der EU-Kommission zurückzuführen. Sie hat es versäumt, frühzeitig auf die wichtigsten Handelspartner der EU zuzugehen und durch die Beteiligung wichtiger Stakeholder frühzeitig Vertrauen und Akzeptanz für das Instrument zu kreieren.

Hohes Risiko der Kommission

Ist der CBAM nun ein klimapolitischer Gamechanger? In seiner jetzigen Form noch nicht – zu groß sind die Schwachstellen des Entwurfs, zu klein sein Einfluss aufgrund der Exklusion verarbeiteter Güter und zu ablehnend die Reaktionen der Handelspartner. Dennoch kann die Regulierung im anstehenden legislativen Prozess und während der dreijährigen Pilotphase nachgebessert werden. Sollte es gelingen, die Handelspartner für das Instrument zu gewinnen und Carbon Leakage der Unternehmen zu vermeiden, dann setzt die EU mit dem CBAM auch Anreize zur Stärkung des Klimaschutzes in Drittstaaten. Funktioniert der Mechanismus nicht, hat die EU einen großen bürokratischen Aufwand betrieben und gleichzeitig Anreize für Unternehmen geschaffen, Emissionen, Arbeitsplätze und Wertschöpfung ins Ausland zu verlagern.

Mit dem CBAM geht die EU ein hohes Risiko ein. Die Beziehungen zu ihren wichtigsten Handelspartnern sind bereits empfindlich belastet. Verändert die EU ihre Kommunikation zum CBAM nicht, wird er weiter als protektionistisches Instrument wahrgenommen. Damit droht die Verordnung, eine globale Sanktionsdynamik in Gang zu setzen.