Wir stecken mitten im Wandel des digitalen Zeitalters. In der Pandemie ist Digitalisierung in vielen Bereichen zu einem vorherrschenden Thema geworden. Diesen politischen Schwung sollten Unternehmen mitnehmen und selbst zu politischen Akteuren werden. Nur so kann eine stabile Struktur mit Regeln und Richtlinien für die digitale Welt geschaffen werden, von der alle profitieren.

Die Digitalisierung (fast) aller Lebensbereiche bietet immense Potentiale für Wirtschaft und Gesellschaft. Sie setzt aber auch einen neuen Ordnungsrahmen der sozialen Marktwirtschaft und die Politik unter Handlungsdruck. Einige große Unternehmen und Plattformen profitieren vom digitalen Fortschritt und treiben diesen in ihrem Sinne voran. Sie konzentrieren dabei auch die Entscheidungsmacht über alle Aspekte der Nutzung ihrer Plattformen wie die Bereitstellung von Inhalten oder Zahlungsweisen. Die Gefahr: Der gesamtgesellschaftliche Nutzen der Digitalisierung geht verloren, kann nicht vollends abgerufen werden oder schlägt sogar ins Gegenteil um.

Werte sind wie nie auf dem Prüfstand

Auf dem Prüfstand stehen dabei die Werte unserer freiheitlichen Gesellschaft: Machtvolle Positionen abseits echter demokratischer Kontrolle dürfen gar nicht erst entstehen. Zugleich muss ein offener und vielfältiger Wettbewerb um die besten Lösungen das Kernelement unserer freien Marktwirtschaft bleiben.

Marktwächter nehmen nicht umsonst große Digitalunternehmen verstärkt unter die Lupe. Europa strebt schon seit Jahren danach, sich als einheitlicher digitaler Regulierungsraum zu positionieren. Mit dem Digital Markets Act und dem Digital Services Act sind zwei EU-Gesetze in Arbeit, die auf offene und faire Digitalmärkte abzielen. Wie bereits im Fall des europäischen Datenschutzes können diese globale Strahlkraft erzielen.

Regulierung allein und ein Gegeneinander von Digitalkonzernen, Zivilgesellschaft und Politik können jedoch nicht Lösungen sein. Ein offener und vielfältiger Wettbewerb mit positiven Standards ist vor allem im eigenen Interesse der Unternehmen selbst.

Wer sich nur als Gatekeeper von Datenmonopolen versteht, lässt einen beträchtlichen Teil an gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Innovation außen vor – und wird langfristig keinen Erfolg haben. Nicht länger das Produkt oder die Dienstleistung, sondern die Ideen müssen im Mittelpunkt der Digitalisierung stehen.

Gegenseitig voneinander lernen

Digitalisierung ist dabei nicht mehr die bloße Ansammlung und möglichst effiziente Verarbeitung von Daten, sondern sie muss die gesellschaftliche Nutzbarmachung dieser anonymisierten Daten, z.B. zu Forschungszwecken, zum Ziel haben. Es geht darum, ein gemeinsames Verständnis einer digitalen Zukunft zu entwickeln, Digitalisierung an gesellschaftlichen Bedürfnissen zu orientieren und Nutzer und Nutzerinnen als notwendige Gewinnerinnen und Gewinner dieses Prozesses zu begreifen. Politik und Unternehmen sollten hierbei voneinander lernen und gesellschaftliche Anforderungen sowie technische Expertise immer wieder aufs Neue zusammenbringen.

Ein jüngstes Beispiel lässt in diesem Zusammenhang aufhorchen. Die gemeinnützige Initiative „AlgorithmWatch“ wollte mit Hilfe von Datenspenden, d.h. der Bereitstellung anonymisierter Daten durch Tech-Konzerne oder Privatpersonen, die politische Wirkung von Instagram zur Bundestagswahl wissenschaftlich untersuchen, sah sich aber auf Druck von Facebook (seit 29.10.2021: Meta) gezwungen, die (freiwilligen!) Daten zu löschen, um einer Klage aus dem Weg zu gehen. Hier braucht für die Nutzung gemeinnütziger Daten es nicht nur Rechtssicherheit für Forschende, sondern auch das genuine Interesse seitens der Digitalunternehmen, sich unabhängigen Urteilen über die politische Macht von Daten (wie im Fall von Meta und AlgorithmWatch) stellen zu wollen.

Ein weiteres Beispiel für neue und komplexe gesellschaftliche Anforderungen zeigt Apple. Der verantwortungsvolle Umgang mit Daten ist für den US-Konzern längst ein kommunikativer Wettbewerbsvorteil in Zeiten der Digitalisierung. Das Unternehmen hat sich hier erfolgreich gegenüber der Konkurrenz positioniert. Angesichts erschreckender Erkenntnisse über die starke Verbreitung von kinderpornografischen Bildern hat sich der Konzern aber für eine stärkere Überwachung (über sog. CMAS-Scans) entschieden und damit ein Einfallstor für staatliche Überwachung geliefert.

Digitalisierung braucht Demokratie

Bedenklich ist selbstverständlich nicht, dass Apple sich dem Kampf gegen Kindesmissbrauch stärker verpflichtet fühlt. Bedenklich ist jedoch, dass die Tatsache, ob etwas auf digitalen Endgeräten verbleibt, von Konzernen statt von staatlichen Stellen entschieden wird. Standards hierfür zu definieren, immer wieder zwischen dem Schutz von Daten und der Bekämpfung schwerer Verbrechen abwägen zu können, ist nur innerhalb eines demokratischen Rechtsstaates möglich. Das sind die Werte, die auch Unternehmen gegenüber Autokratien verteidigen müssen.

Im Ergebnis braucht die menschenzentrierte Digitalisierung Unternehmen, die selbstbewusst für einen besseren Wettbewerb antreten und diesen aktiv fordern und fördern. Auf diese Weise werden Unternehmen unweigerlich selbst zu politischen Akteuren – bei ehrlicher Bestandsaufnahme sind sie es längst. Gemeinsam mit der Politik können Digitalunternehmen ein stabiles Umfeld schaffen, das letzten Endes allen nützt.