In einer Frage waren sich alle demokratischen Parteien schon im Wahlkampf einig: Infrastrukturvorhaben müssen in der (lokalen) Bevölkerung zukünftig mehr Akzeptanz genießen! Mit der Pandemie haben aber alle Akteure (u.a. öffentliche Hand, Investoren, Verbände, lokale Initiativen) neue Erfahrungen bei Beteiligungsformaten gemacht. Veranstaltungen in Präsenz waren nicht mehr möglich, Online-Formate wurden zur Regel. Die ersten Kritiker:innen ließen nicht lange auf sich warten. Die Akzeptanz und Glaubwürdigkeit von Online-Formaten wurden schnell Gegenstand von Diskussionen. Folgende Fragen stellten sich: Können wir Akzeptanz und Glaubwürdigkeit auch digital gewährleisten? Gelingt eine gute Beteiligung auch online? Haben Teilnehmende ausreichend Möglichkeiten, Kritik und Sorgen kundzutun? Können umgekehrt Vorhabenträger durch digitale Formate Verzögerungen im Planungsprozess von Infrastrukturvorhaben vermeiden?

In den vergangenen Monaten hat Beteiligung fast ausschließlich in digitalen Formaten und dies unter großem Zuspruch stattgefunden. Bei niedrigeren COVID19-Inzidenzen wird der Ruf nach Präsenzveranstaltungen wieder lauter. Die Befürworterinnen und Befürworter argumentieren vor allem mit einer besseren Möglichkeit zum Austausch bei analogen Formaten. Sie sind diese Form der Kommunikation gewohnt und der digitale Raum ist ihnen fremd. Je größer das Potenzial für Konflikte im Verlauf eines Beteiligungsverfahrens, desto wichtiger sei es, auf gewohnte Präsenzveranstaltungen zu setzen.

Fakt ist: Glaubwürdigkeit und Akzeptanz können nur entstehen, wenn die Beteiligten Erfahrungen machen, die vertrauensbildend sind – etwa durch Kommunikation auf Augenhöhe. Dazu muss der Vorhabentragende den Willen haben und diesen im Beteiligungsverfahren verdeutlichen, indem er „echte Einflussnahme“ ermöglicht. Entsteht aber der Eindruck, dass Vorhabentragende das Verfahren schnell abschließen möchten und nicht mit der notwendigen Sorgfalt vorgeht, riskiert man Glaubwürdigkeit und Akzeptanz. Hinzu kommt, dass Konfliktparteien Veranstaltern digitaler Formate gerne vorwerfen, eine virtuelle Durchführung gewählt zu haben, um bestimmte Personen oder Gruppen im Austausch zu benachteiligen oder gar davon auszuschließen. Denn tatsächlich hat der Veranstalter eines digitalen Formats eine stärkere Kontrolle darüber, wer wie zu Wort kommt. Eine Unterschätzung dieser Verschiebung und diesbezügliche Vorwürfe können schnell Zweifel an der Glaubwürdigkeit entstehen lassen und die Akzeptanz gefährden.

Bei analogen Veranstaltungen verschaffen sich Bürgerinitiativen oder „laute Empörer“ gerne Gehör und vertreten lautstark ihre Meinungen und Ansichten vor Publikum. Dies ist digital in dieser Form nicht immer möglich. Entsprechend zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass vor allem sehr aktive Gruppierungen die genannten Befürchtungen teilen.

Gleichzeitig gerät bei einer reinen Fokussierung auf analoge Formate eine Gruppe aber wieder in den Hintergrund, die sich und ihre Interessen gerade im Digitalen besser vertreten konnte: die leiseren Beteiligten, die vor allem informiert werden wollen, dem Projekt zweifelnd, skeptisch oder auch neutral bis zustimmend gegenüberstehen und die sich mit konstruktiven Anmerkungen einbringen wollen. Diesen Personen fällt es in einem digitalen Format oft leichter als bei analogen Veranstaltungen, das Wort zu ergreifen.

Die größere Bereitschaft zur Artikulation zeigt sich auch an der Art der Fragen sowie an der Vielfalt der Fragesteller. Bei digitalen Veranstaltungen werden deutlich mehr Aspekte thematisiert. Gleichzeitig bringen sich mehr und unterschiedlichere Personengruppen in die Diskussion ein, als dies bei analogen Formaten der Fall ist. Im Live-Chat melden sich weitaus mehr Menschen mit ihren Fragen zu Wort: Der anonymisierte Chat nimmt die Angst, etwas öffentlich sagen zu müssen.

Hinzu kommt ein weiterer Vorteil digitaler Formate: In den vergangenen Monaten haben vermehrt vor allem Frauen und jüngere Menschen an Online-Veranstaltungen teilgenommen. Eine Rückkehr zu analogen Veranstaltungen würde diese Gruppen voraussichtlich erneut ausschließen oder zumindest ihre Teilnahmebereitschaft verringern. Die neu gewonnene Diversität von Beteiligungsverfahren würde also wieder abnehmen. Entsprechend fühlen sich künftig bei rein analogen Beteiligungsformaten jüngere Menschen und Frauen ebenso ausgeschlossen wie sich manche Ältere bei reinen Online-Formaten übergangen fühlen könnten. Dies hat sehr negative Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit, Legitimität und Akzeptanz eines Beteiligungsverfahrens.

Und nach der Pandemie?

Die Erfahrung aus vielen Jahren vor Corona sowie das Gelernte aus den vergangenen 18 Monaten müssen gemeinsam etwas Neues entstehen lassen. Eine Kombination aus den Vorteilen der digitalen und analogen Formate sollte sich auf die jeweiligen Stärken fokussieren und die entsprechenden Schwächen mindern. Allerdings wird es keine Lösung von der Stange geben. Individuelle Ideen sind gefragt, angepasst an die aktuellen Möglichkeiten der Beteiligung, das konkrete Format sowie das Ziel der Veranstaltung.

So könnte ein Workshop für einen ersten Austausch zwischen vordefinierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern als Vor-Ort-Veranstaltung mit der Zuschaltung weiterer Teilnehmender oder Expertinnen und Experten per Videochat gestaltet werden. Als weiteres Beispiel könnten bei einer digitalen Informationsveranstaltung Vertreterinnen und Vertreter einer relevanten Bürgerinitiative oder aus einem Pool von Interessierten, die sich im Vorfeld darauf beworben haben, im Studio vor laufender Kamera Fragen stellen. Das würde dem Wunsch nach Augenhöhe entgegenkommen und eventuelle Vorwürfe einer größeren Kontrolle des Veranstalters bei digitalen Formaten entkräften.

Die Frage lautet künftig also nicht, ob das Format im Beteiligungsprozess digital oder analog sein soll. Vielmehr müssen Veranstalter von Beteiligungsformaten künftig darauf achten, welche Balance zwischen analogen und digitalen Anteilen am besten für das Ziel und die Teilnehmenden einer Veranstaltung geeignet ist. Nur auf diese Weise kann ein Beteiligungsverfahren künftig alle Interessierten ansprechen, integrieren und den Weg für die Akzeptanz von Projekten ebnen.