„Nur der frühe Vogel fängt den Wurm“, sagt ein altes deutsches Sprichwort. Das gilt vor dem Hintergrund der komplexen Entscheidungsprozesse zwischen Bund und Ländern insbesondere für alle Anliegen und Themen, die der Zustimmung des Bundesrates bedürfen. Wer hier sein Wort zur Geltung bringen will, muss sich auskennen in den jeweiligen Landesregierungen, mit den Ministerkonferenzen, den Ausschüssen des Bundesrates und ihren besonderen Regularien und muss sich nicht zuletzt um anstehende Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften kümmern. Das alles aber ist natürlich nur erforderlich, wenn man die Bedingungen und Möglichkeiten seines Handels auch mitgestalten möchte – aber wer wünscht sich das denn nicht?

Wer intensiver die Gestaltungsspielräume des eigenen Handels steigern möchte, kann größere neue Arbeitseinheiten aufbauen oder sich von erfahrenen Lotsen begleiten lassen.

Was wird aus dem Entlastungspaket III?

Nach dem Koalitionsausschuss vor einigen Tagen war die Katze aus dem Sack. Das Entlastungspaket III stand. Die ersten öffentlichen Reaktionen waren noch im Rahmen des Üblichen und Erwartbaren. Viele Augen richteten sich auf die Akteure im Deutschen Bundestag, sind es doch die Abgeordneten, die nun zu diskutieren und zu streiten haben.

Aber ist das Bild wirklich vollständig? Oder handelt es sich eher um die Zuspitzung und Reduktion, die vermeintlich dem besseren Verständnis dient?

Die Wirklichkeit ist meistens komplexer. So auch in diesem Fall: Schon tags drauf meldeten sich die Länder zu Wort. Zustimmung unsicher (so die Ministerpräsidenten aus Bayern, Baden-Württemberg und NRW). Die Ministerpräsidentenkonferenz muss beteiligt werden, der Bundesrat entscheiden oder ggf. sogar der Vermittlungsausschuss angerufen werden. So oder ähnlich konnten wir es in den letzten Tagen in einigen Artikeln lesen.

Und in der Tat: Im Kanzleramt und im Bundestag werden zwar die Entscheidungen durch Gesetzentwürfe eingeleitet, doch ein entscheidendes Orchester spielt in der Leipziger Straße auf. Und dort wird schon bald die Ouvertüre gespielt – noch bevor der Bundestag im Plenum und mit seinen Ausschüssen zu Wort kommt. Aber noch wichtiger: In der Leipziger Straße wird auch der Schlussakkord gespielt.

An diesem Ort hat das wohl unterschätze Verfassungsorgan der deutschen Politik seinen Sitz: der Bundesrat, die Vertretung der Länder, durch deren Entscheidung das Grundgesetz und damit auch die Bundesrepublik erst erschaffen werden konnte. Daraus resultieren Selbstbewusstsein und Rechtsansprüche. Ohne die Zustimmung des Bundesrats läuft vieles nicht im Lande.

Natürlich haben die Meisten schon vom Bundesrat gehört. Doch seine Spielregeln, Verfahren, Gremien und seine Gestaltungsmacht bleibt vielen verborgen. Wann erfährt man in Funk und Fernsehen schon davon, dass die Bundesregierung den Bundesrat um Empfehlung zu ihren Gesetzentwürfen bitten muss, bevor sie die Abgeordneten des Deutschen Bundestags mit ihren Vorschlägen begrüßen darf. Wie selten steht in Zeitung und Internet zu lesen, warum die Länder sich im Bundesrat das Recht nehmen dürfen, auch nach Beschluss des Bundestags einem Gesetz noch die Zustimmung zu verweigern und so ein Vermittlungsverfahren erzwingen können. Kein Gesetz kann in Deutschland vom zuständigen Minister oder der Ministerin gegengezeichnet, vom Bundespräsidenten ausgefertigt und im Bundesanzeiger veröffentlicht werden, ohne dass der Bundesrat grünes Licht gegeben hat. Diese weitgehenden Zustimmungsbefugnisse des Bundesrates gelten im Übrigen auch bei Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften, die für den Lebensalltag und die Rahmenbedingungen der Wirtschaft häufig noch viel direktere Auswirkungen haben.

Wie immer in der Demokratie muss auch im Bundesrat die hohe Hürde der Mehrheit genommen werden. Das heißt, es sind 35 Stimmen zustimmend auf ein Anliegen zu vereinen. Die einzelnen Länder können nur geschlossen abstimmen, Enthaltungen – die immer dann vorkommen, wenn sich eine (Koalitions-)Regierung in einem Land nicht einigen kann – wirken dabei faktisch als Nein-Stimmen. Wenn Länder aktiv ihr Initiativrecht mit einer Entschließung wahrnehmen oder gar Einspruch gegen einen Gesetzentwurf des Bundestages erheben wollen müssen die erforderlichen 35 Stimmen erreicht werden. Das wird auf absehbare Zeit nicht möglich sein, da weder die Ampel-Parteien noch die Opposition auch nur annähernd die erforderliche Stimmenzahl erreichen. Und selbst wenn der wenig erwartbare Zustand einträte, dass die Oppositionsparteien des Deutschen Bundestages in den kommenden zwei Jahre bei allen Landtagswahlen die Mehrheit auf sich vereinen würden, könnten sie keine Mehrheit gegen den Willen der Ampel-Parteien im Bundesrat erzielen.

Andersherum stellt sich die Lage bei den für die Regierungskoalition so wichtigen Zustimmungsgesetzen dar. Hier nämlich braucht die Bundestagsmehrheit von Kanzler Olaf Scholz für ihre Vorhaben die Mehrheit im Bundesrat und damit die notwendigen 35 der insgesamt 69 Stimmen. Das wiederum bedeutet, dass die Ampel in allen Fragen eine Verständigung mit der Opposition erreichen muss. Dabei reicht es nicht, die Linke in den Ländern, in denen sie mitregiert, zu gewinnen. Es muss auf jeden Fall die CDU/CSU davon überzeugt werden, die Blockade aufzugeben. Damit wird die in den vergangenen Jahren so selten gewordene Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat wohl neue Aktualität gewinnen.

Wenn ein im Bundestag in zweiter oder dritter Lesung beschlossenes zustimmungspflichtiges Gesetz im Plenum des Bundesrats nicht die erforderliche Mehrheit erhält, ist es gescheitert. Das werden die politisch mit der Bundesregierung verbundenen Länder auf jeden Fall zu vermeiden versuchen und auch die Opposition wird in den meisten Fällen wenig Interessen an einem kompletten Abbruch des Verfahrens haben. In einer solchen Situation kann zwar der Bundestag den Vermittlungsausschuss einsetzen, wahrscheinlicher jedoch ist, dass sich im Bundesrat schon vor einer endgültigen Abstimmung über ein Gesetz eine Mehrheit des Bundesrates für die Einsetzung des Vermittlungsausschusses findet. Nun muss die hohe Kunst der politischen Verständigung ihre Krönung erfahren und Regierungsmehrheit und Opposition müssen einen Konsens finden, der dann im Bundestag und im Bundesrat in erneuten Abstimmungen eine Mehrheit findet – oder das Gesetzesvorhaben ist endgültig gescheitert.

Wie wird angesichts dieser Mehrebenen-Anforderung an die Entscheidung nun der Weg des Entlastungspakets III weitergehen? Festzustellen ist in jedem Falle, dass ein großer Teil des Pakets die Zustimmung der Länder und damit des Bundesrats braucht. Die steuerpolitischen Maßnahmen wie die Abmilderung der kalten Progression, die Reduzierung der Umsatzsteuer für das Gastgewerbe und den Gasverbrauch zählen ebenso dazu wie die sozialpolitischen Veränderungen beispielsweise beim Wohngeld, die Ausweitung des Empfängerkreises bei den Heizkostenvergünstigungen, das neue Bürgergeld sowie seine zukünftigen Regelsätze. Weiterhin müssen auch Entlastungen der Wirtschaft und verkehrspolitische Vorhaben wie die Nachfolgeversion des 9-€-Tickets durch die Finanzmittel der Länder mitgetragen werden. Eine verlässliche Prognose möglicher Verhandlungsergebnisse lässt sich vorerst kaum stellen, denn nach einer Reihe von Vorverständigungen u.a. in der Ministerpräsidentenkonferenz wird neben einer Vielzahl von Gesprächen und Verhandlungen noch die für die politische Stimmungslage wichtige niedersächsische Landtagswahl am 9. Oktober zu absolvieren sein. Bis dahin werden sicherlich noch einige Gespräche zwischen der Bundesregierung und einer Reihe von Landesregierungen stattfinden. Insbesondere für die Industrie und das produzierende Gewerbe werden noch Ergänzungen im Entlastungspaket III aufgenommen werden müssen. Das ist notwendig, um einerseits Planungssicherheit für die Unternehmen und Beschäftigten und andererseits die Zustimmung im Bundesrat sicherzustellen.

Es stehen uns also spannende Wochen und vielleicht Monate bevor, in denen Einiges über die Mechanismen der Entscheidung beobachtet und wenn gewünscht auch gelernt werden kann. Die Zeit des Eingriffs durch wohlmeinende und auch kluge Ratschläge, von Hintergrundgesprächen durch Akteure außerhalb der Parlamente und Regierungen sowie sachkundiger Hinweise auf berechtigte Interessen sind noch denkbar, die Spielräume verkürzen und erschweren sich, je näher die formalen Beratungsroutinen im Bundesrat einsetzen.

Auch bei diesem aktuellen Beispiel gilt wieder: Je früher sachkundige, fundierte und berechtigte Interessen in den politischen Entscheidungsprozess eingebracht werden, desto größer ist die Chance der Wahrnehmung. Je gezielter Hinweise auch auf die umsetzenden und entscheidenden Länderebenen platziert werden, desto größer die Chance auf Umsetzung.

Wer die besten Wege kennt, kommt schneller ans Ziel.