„Ich will alles tun, dass wir zusammen durch dieses Jahr gehen“. Als Armin Laschet diese Worte nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden im Januar 2021 an die Delegierten richtete, konnte er noch nicht ahnen, dass ein kleiner Moment der Unachtsamkeit und scheinbar fehlender Empathie wochenlang die Wahrnehmung seiner Person prägen wird. Gerade erst hatte er sich im internen Machtkampf mit Markus Söder gegen Umfragen und KritikerInnen in den eigenen Reihen durchgesetzt, plötzlich schien jeder Versuch, das öffentliche Vertrauen zurückzuholen aussichtslos. Am Ende dieser politischen Tortur steht mit 24,1 % das historisch schlechteste Wahlergebnis der Union bei einer Bundestagswahl. Nach einem Jahr Armin Laschet ist die CDU wieder auf der Suche nach einem neuen Vorsitzenden.

Doch mit der Wahl eines neuen Vorsitzenden befindet sich die CDU bestenfalls am Anfang eines langwierigen und ungewohnten, aber zwingend notwendigen Reformprozesses. Die Mitgliederbefragung ist für die CDU in dieser Form ein unüblicher Schritt. Dennoch ist sie der richtige Weg, um die Mitglieder einzubinden und für einen Neuanfang zu motivieren. Bereits im Dezember wird die erste Abstimmungsphase stattfinden und soll die Frage klären, wer bei der Basis die nötige Unterstützung für die nächsten Jahre hat. Im Sinne der nötigen Neuausrichtung wäre es wichtig, eine zügige und auf breite Unterstützung treffende Einigung zu erzielen. Neben der erneuten (dritten) Kandidatur von Friedrich Merz stellen sich Norbert Röttgen und Helge Braun zur Wahl. Die von einigen Vertreterinnen und Vertretern lancierte Doppelspitze scheint in der CDU mittelfristig keine Aussicht auf Erfolg zu haben. Dies liegt nicht zuletzt an dem Mangel an Frauen, die nach der Spitze streben – ein Zustand, der bei der Betrachtung des Kandidatenaufgebotes ebenfalls auf der Agenda einer Neuausrichtung stehen sollte.

Nach der Wahl eines neuen Vorsitzenden steht allerdings die eigentliche Mammutaufgabe noch bevor: Wie kann sich die CDU neben SPD, Grünen und FDP wieder die Führungsposition in der „Mitte“ erarbeiten? Die drei Flügel der CDU werden immer genannt, wenn es um die Einheit der Partei geht. Alle Flügel müssten ihren Platz in der Partei haben. Tilman Kuban und Carsten Linnemann sind „der festen Überzeugung, dass eine Rückbesinnung auf die Werte von Freiheit, Eigenverantwortung und Gemeinsinn enorme Kräfte in unserer Gesellschaft freisetzen kann.“ Mehr denn je würde der „moderne Konservatismus in der CDU“ gebraucht. Ist aber in einer veränderten Parteienlandschaft, die große Ziele formuliert, die konservative Erzählung der richtige Weg für die CDU? Friedrich Merz steht für diese Idee. Er steht für eine CDU vor Angela Merkel. Dafür gibt es auch Zuspruch – dieser schwindet aber.

Es könnte der Eindruck entstehen, dass auch die Errungenschaften der Ära Merkel dadurch ignoriert und die Zeit in die 90iger zurückgedreht werden sollen. Dabei war Angela Merkel die Garantin für den Erfolg der CDU. Ihr Rückzug schlägt sich auch in dem Wahlergebnis nieder: Viele Merkel-Wähler haben ihr Kreuz bei der SPD und den Grünen gesetzt und wollen keine CDU, die sich in ihrer inhaltlichen Entwicklung auf überholte Denkweisen zurückbesinnt. Sie wollen eine moderne Partei, die in der Lage ist, als Volkspartei die gesellschaftlichen Entwicklungen unter Einbeziehungen aller Bevölkerungsgruppen zu prägen und zu begleiten. Eine bürgerliche, liberale und sich an der sozialen Marktwirtschaft orientierende Volkspartei. Drei Werte, die viele Menschen nicht zuletzt nach der internen Schlacht um die Kanzlerkandidatur nicht mehr mit der CDU in Verbindung bringen. Für die personelle Neuaufstellung bleibt nach diesem Duell ein fader Beigeschmack. Die Menschen wollen Politiker, die ihre persönlichen Ambitionen zurückstellen und sich im Team einer gemeinsamen Idee verpflichten.

Die CDU muss zu ihrem bürgerlichen Kern zurück; das bedeutet, dass sie die Menschen in den Vordergrund ihrer Politik stellen muss. Viele Menschen aus der „Mitte“ fühlen sich von der CDU im Stich gelassen. Dabei waren gerade die Themen der bürgerlichen Mitte das Reservoir für die politische Stärke der CDU. Unter Einflussnahme der Basis müssen bürgerliche Anliegen in einem Programm münden, das nicht hinter dem Vorsitzenden zurücksteht, sondern die Richtung der Christdemokratie im 21. Jahrhundert vorgibt.

Die Schwerpunkte, die ein neuer Vorsitzender setzen wird, sind die Grundlage für eine Beurteilung der Entwicklung der CDU in den kommenden Jahren. Veränderte Parteigremien und ein neues Grundsatzprogramm erweitern den Prozess der Veränderung innerhalb der CDU. Für die strategische Interessenvertretung wird entscheidend sein, welche Rolle die CDU in der Opposition annehmen wird und wie sie ihre Inhalte darstellt. Unter Friedrich Merz sind finanzpolitische Schwerpunkte sowie Forderungen nach finanziellen Entlastungen zu erwarten, die im Lichte der anhaltenden Aufarbeitung der Corona-Krise durch eine neu gewählte Regierung an Zustimmung in der Bevölkerung gewinnen könnten. Darüber hinaus besteht die Chance, als einziges parlamentarisches Korrektiv wahrgenommen zu werden, das von der „Mitte“ gewählt werden würde. Das hängt zum einen von der Geschlossenheit der Partei ab, zum anderen an der Fähigkeit, die Schwächen der Regierung aufzuzeigen und durch eigene Vorschläge für sich zu nutzen.

Drei CDU-Ministerpräsidenten wollen im kommenden Jahr wiedergewählt werden. Rückenwind aus Berlin kann es nur dann geben, wenn die CDU es schafft, den Prozess der inhaltlichen und personellen Neuaufstellung aus eigener Kraft zu beginnen. Ohne öffentliche Streitigkeiten, ohne Imitationen anderer Parteien und ohne eine nie endende Personaldiskussion. Andernfalls wird der Versuch der Neuausrichtung den neuen Vorsitzenden mit ähnlicher Härte treffen wie AKK und Armin Laschet – auch ohne ein Lachen zur falschen Zeit.